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Bakelit
Wie das Bakelit die Welt eroberte
MOZ-Serie zur Geschichte des ersten industriell gefertigten Kunststoffs in Erkner / Teil V
Die Stadt Erkner ist die Wiege des ersten industriell gefertigten Kunststoffs, der dort erstmals 1909 hergestellt wurde. Aus diesem Anlass wird Ende November in Erkner dieses 100. Geburtstages gedacht, zum Beispiel mit einer Ausstellung und Vorträgen. Mitglieder des Freundeskreises Chemie-Museum Erkner bringen den MOZ-Lesern die spannende Entwicklungsgeschichte des Kunststoffs näher. Heute Teil V:
Bakelit fand 1909 das besondere Interesse der Elektroindustrie. Aber auch andere Branchen, wie Knopfhersteller, Lackindustrie, Möbelindustrie, wurden bald auch auf das neue Material aufmerksam. Die Nachfrage nahm zunächst nur zögerlich zu, aber mit steigender Tendenz. So entschloss sich 1913 die Rütgers AG, ein Bakelit-Werk in Erkner auf der östlichen Seite des Flakenfließes zu bauen, das 1916 die Bakelit-Produktion aufnahm und 1921 die volle Kapazität erreichte.
In den 1920er Jahren begann der eigentliche Siegeszug dieses Kunstharzes. Nicht nur aus Erkner – auch weltweit aus vielen Werken – kam das „Material der 1000 Möglichkeiten“: Es gab bald keinen Lebensbereich ohne diesen einzigartigen Kunststoff.
Die Weckeruhr mit Bakelit-Gehäuse weckte den Schläfer, Kamm, Rasierpinsel und Fön lagen im Badezimmer bereit, Küchengeräte, Besteck-, Kochtopf- und Pfannengriffe aus dem gleichen Material waren in der Küche, Staubsauger und andere Geräte waren im Haushalt zu finden. Der Füllfederhalter, die Schale für Schreibutensilien, die Schreibtischlampe und vor allem das schwarze Telefon mit der Wählscheibe, das bis in die 1980er Jahre in Gebrauch war, und vieles andere mehr. Die Damen schätzten Kosmetikbehältnisse und Schmuck aus Bakelit. In den Wohnungen und auch sonst waren Lichtschalter, Steckdosen und andere Gegenstände, die mit Elektrizität zu tun hatten, aus Bakelit.
Auch Fotografieren und Filmen wurde dank dieses Materials weiter verbreitet. Foto- und Filmapparate, Diavorführ-Geräte und Filmprojektoren konnten nun preiswert produziert werden. Künstler und Designer der Art-Deco-Periode schufen Zier-und Schmuckgegenstände aus Bakelit, die noch heute das Auge des Betrachters erfreuen und begehrte Sammelobjekte sind.
In den 1930er Jahren hat Bakelit auch zur intensiven Verbreitung von Radiogeräten beigetragen. Statt aufwendig aus Holz die Gehäuse zusammenzubauen, wurden diese nun in einem Arbeitsgang aus Bakelit gefertigt. Berühmt wurde der „Volksempfänger“, der als Sprachrohr der Regierenden Information und Propaganda – aber auch Unterhaltendes – bis in die fernsten Regionen verbreitete. Der bekannteste war der VE 301. Seine Produktion begann im Mai 1933.
Bis Ende 1933 wurden ca. 800 000 Stück hergestellt und verkauft. In so wenigen Monaten eine so große Zahl von Geräten zu produzieren, war nur dank des für die Massenproduktion geeigneten Bakelits möglich. Bis Ende 1939 wurden mehr als acht Millionen unterschiedlicher Typen hergestellt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die Erdölchemie die Kohlechemie zurückzudrängen und brachte neue Kunststoffe hervor, die zwar den Höhenflug des Bakelits beendeten, nicht aber seine Bedeutung in noch vielen Einsatzgebieten.
So wurde in Zwickau von 1957 bis 1991 der Trabant mit Phenoplast-Karosserie gefertigt. Das Phenoplast-Material wurde bei der VEB Plasta Erkner (heute Dynea GmbH) hergestellt und in Zwickau zu Karosserie-Platten verarbeitet, die das Stahlgerippe mit einer Kunststoffhaut versahen. Diesem „Kultobjekt“ wird der nächste Artikel gewidmet sein.
Prof. Dr. Gerhard Koßmehl
FCME, Berlin
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vor 100 Jahren das Kunststoff-Zeitalter
Faksimile dieses Artikels in der MOZ
Leo Baekeland (alias
Klaus Geppert) mit
Prof. Koßmehl
Gehäuse aus Bakelit machten Radios erschwinglich
Bakelite GmbH Erkner Werk II, Berliner Str., Baubeginn 1936
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